Die Kunsttherapie als wirksamer Bestandteil in der Rehabilitation
Die Rehabilitationsklinik Felbring liegt abgeschieden vom Trubel der Welt ruhig und beschaulich am Fuße der Hohen Wand, fünfundvierzig Autominuten entfernt von Wien.
Es ist kurz vor 08 Uhr morgens. Im 3. Stock des Hauptgebäudes vor dem Atelier warten sechs Patienten, zwei Frauen und vier Männer, auf den Einlass zur kunsttherapeutischen Gruppe – es wird eine zweistündige Doppeleinheit.
Ankommen und Entspannen
Ich bitte sie ins Atelier und, rund um einen großen Tisch Platz zu nehmen – erstmal ankommen, durchatmen und entspannen. Sie müssen in den folgenden zwei Stunden „nichts leisten“, sie dürfen sich wahrnehmen, spüren, sich Zeit nehmen, innere Bilder entstehen lassen und diesen später in den Gestaltungen Ausdruck verleihen.
Sie werden abschließend Zeit finden, sich über ihre Kreationen mitzuteilen und sie werden Resonanz von mir und den Mitpatienten erhalten. Es gibt keinerlei künstlerischen Anspruch, die meisten der Teilnehmer haben im Volksschulalter zum letzten Mal ein Bild gezeichnet oder gemalt und heute sind sie 40, 60 oder 80 Jahre alt.
Das Einzige, was sie mitbringen sollten: Neugierige Offenheit und ein Stück Interesse an sich selbst.
Strandspaziergang als Fantasiereise in der Kunsttherapie
Ich habe für diese Einheit eine Imagination zum Thema „Geschenk aus dem Unbewussten“ vorbereitet. Dabei werde ich die Teilnehmer nach einer kurzen Entspannungsübung mit geschlossenen Augen zu einem imaginativen Spaziergang entlang des Meeres entführen.
Sie werden sich dort beispielsweise bei ruhiger See im stillen Sonnenuntergang oder bei stürmischem Meereswind und tosender Brandung erleben und sie werden angeschwemmtes Strandgut vorfinden, das eigens und nur für sie vom Meer an Land gespült wurde.
Sie werden das Geschenk vielleicht dankbar annehmen (wenn es eine Flasche oder eine Kiste mit mysteriösem Inhalt ist und Neugier weckt) oder aber es nicht haben wollen und gar verabscheuen (wenn es die Planke eines verunglückten Schiffes oder eine schleimige tote Qualle ist).
So wie sie den Herzinfarkt, der sie vor wenigen Wochen plötzlich aus der Selbstverständlichkeit des Alltags gerissen hat, annehmen oder ablehnen, ihn dankbar als Signal, als wegweisendes „Geschenk“ betrachten oder ihn verleugnen, weghaben und ungeschehen machen wollen.
Erlebnisse verarbeiten auf seelischer und körperlicher Ebene
Die Patienten haben hier in den drei bis fünf Wochen ihres Aufenthaltes oft erstmals Raum und Gelegenheit, sich neben der körperlichen Rehabilitation bewusst und (u.a. durch kunsttherapeutische Methoden) begleitet mit ihren seelischen Reaktionen auf die erfahrene Lebensbedrohung, mit Grenzthemen und Ängsten, mit selbstschädigenden Lebensweisen und hemmenden Verhaltensmustern auseinanderzusetzen.
Sie haben hier – vom gewohnten Alltagsleben abgeschieden – die Möglichkeit, sich und ihre emotionalen und körperlichen Verausgabungen, ihre Kränkungen aus belastenden Beziehungen und Arbeitssituationen, ihre Verhärtungen und Einsamkeiten zu sehen und in Bilder zu verwandeln.
Diese liegen dann von eigener Hand gestaltet vor Ihnen und berühren die Betrachter. Es ist tatsächlich ein „Auftauchen lassen“, ein „Sichtbar machen“ auch all dessen, was vielleicht mit dazu beigetragen hat, dass das Herz leiden musste und muss.
Bewusstes Erleben – vom Blatt in den Alltag
Das Hervorragende der Kunsttherapie in diesem klinischen Kontext ist der spielerische Zugang zur eigenen Psyche, welcher den Patienten die Angst nimmt, sich mit sich selbst und ihren Themen auseinanderzusetzen. Die ersten Gestaltungen können besprochen und die Inhalte reflektiert werden.
Sie können dann als Basis eines Prozesses dienen, in welchem sie erweitert und spielerisch verändert werden, neue Bilder hinzukommen und so ein Gesamtbild oder auch eine Bildgeschichte entsteht. Dieses risikolose „Probehandeln“ am Papier geht bestenfalls in eine tatsächlich in den Alltag integrierte Veränderung der bisher unbewussten Einstellungen und Verhaltensweisen über.
Die Patienten berichten mir immer wieder, dass Ihnen durch den Gestaltungsprozess, die Betrachtung, Besprechung und das Spielen mit den Bildern und den darin enthaltenen Symbolen vieles über sie selbst bewusst und in der Folge eine Veränderung im Inneren möglich geworden ist.
Imagination als wirksame Methode in der Kunsttherapie
Ich arbeite seit mittlerweile 4 Jahren mit Herz- Kreislaufpatienten in Felbring. Die hier beschriebene und sehr wirksame Methode der Imagination ist eine von vielen Werkzeugen, die ich je nach Setting, Indikation und Persönlichkeit der Patienten einsetze.
Die Kunsttherapie insgesamt in der stationären Rehabilitation sehe ich als äußerst wertvollen integrativen Bestandteil einer ganzheitlichen Versorgung von Geist, Seele und Körper.
Autor: Peter Gsöllpointner
Kunsttherapeut, Lebensberater, Karikaturist
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