Dystonie-Erkrankung: Vorsorge und Therapie nicht schleifen lassen!
Während der Corona-Pandemie und durch den eingetretenen Krieg sind viele notwendige Untersuchungen beim Arzt (z.B. bei Dystonie) von Patienten aufgeschoben worden.
Gleichzeitig scheinen die Menschen derzeit mit anderen Sorgen als ihrer Gesundheit beschäftigt zu sein. Die wirtschaftliche und soziale Situation belastet uns alle.
Und doch sollten wir wichtige Abklärungen von Krankheiten nicht aus Angst und Verunsicherung über die Zukunft aufschieben.
Diese Meinung vertritt die Vorsitzende des Selbsthilfeverbandes „Dystonie-und-Du e.V.“ (DYD), Ulrike Halsch.
Wie sie ausführt, macht sie sich Gedanken über ausbleibende Diagnostik und Therapie bei Menschen.
Die während der Corona-Lage oder durch die im Ukraine-Konflikt eingetreten Inflation auf obligatorische Vorsorge oder kurative Behandlung ihrer Erkrankung verzichten und stattdessen darauf hoffen, dass all dies im später noch nachgeholt werden kann.
Dabei sei es gerade bei neurologischen Krankheiten wie der Dystonie erforderlich, das mögliche Voranschreiten der Einschränkungen rasch zu erkennen und mit geeigneten Maßnahmen entgegenzuwirken.
Hinzu käme nun die Dramatik in der Ukraine: „Die Bilder der Inhumanität belasten auch die Seelen der Deutschen, die zwar nicht unmittelbar vom Konflikt betroffen seien, sich aber besonders vor einer Ausdehnung der Gewalt auf Europa oder die Welt fürchteten“, sagt Dennis Riehle, Psychosozialer Berater des Vereins DYD: „Nach zwei Jahren Pandemie sind die Menschen erschöpft.
Obwohl in Sachen Corona ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, stürzen wir nun direkt in die nächste Hoffnungslosigkeit.
Es ist verständlich, wenn Menschen angesichts dieser Herausforderungen der Zeit verzweifeln und entmutigt sind“, meint der 36-Jährige, der seit vielen Jahren selbst an einer Dystonie und gleichzeitig psychisch erkrankt ist.
„Schlussendlich sind wir zwar diesem Krieg ausgeliefert und stehen den unerträglichen Impressionen von Schmerz und Leid hilflos gegenüber. Aber gegenüber unseren Ängsten sind wir keinesfalls machtlos“, so Riehle.
Er verweist insbesondere auf Konzepte der Kognitiven Verhaltenstherapie: „Das wichtigste Element der Angstbewältigung ist neben dem Respekt und der Anerkennung unserer Gefühle der Versuch, den übersteigerten Emotionen mit Rationalität zu begegnen und sie durch Argumente zu relativieren“, erklären Halsch und Riehle gemeinsam.
Dystonie-Erkrankte und Menschen mit Bewegungsstörungen im Allgemeinen sind darauf angewiesen, dass sie wiederkehrend untersucht und behandelt werden.
Andernfalls schreitet die Dystonie voran, obwohl man etwas gegen sie unternehmen könnte.
„Vielfach wurden aufgrund der Weltlage medikamentöse Behandlung oder neurochirurgische Eingriffe verschoben, auf die Dystonie-Patienten eigentlich dringend gewartet hatten.
Die Sorge, dass die ausbleibende Therapie die eigene Erkrankung verschlechtern könnte, kommt zu den alltäglichen Befürchtungen vor den Auswirkungen der gewaltsamen Auseinandersetzung in der Ukraine dazu“.
Daher dürfe man sich nicht der Hilflosigkeit hingeben und in der scheinbaren Ausweglosigkeit der Dinge verharren. Das gelte für Krieg und die eigene Behinderung.
Riehle untermauert Beispiele für das richtige Vorgehen, um zumindest gegen die Verzweiflung gegenüber des Konflikts auf europäischem Boden angehen zu können: „Wichtig sind im Augenblick insbesondere seriöse Informationen und fachkundige Einschätzungen. Wir sollten uns nicht allein von den dramatischen Schlagzeilen leiten lassen, sondern insbesondere Einordnungen von Experten konsumieren, die die Lage in ein unaufgeregtes Bild zurückholen. Daneben ist es entscheidend, durch Aktivität der scheinbaren Lähmung entgegenzuwirken“.
Und er sagt weiter: „Ob wir nun durch konkrete Hilfe für die Ukraine durch Spenden oder Unterstützung für die Flüchtenden tätig werden – oder trotz des Krieges bewusst Pausen von den Nachrichten in den Alltag einbauen, in denen wir wieder unseren gewohnten Hobbys und geliebten Freizeitbeschäftigungen nachgehen: Elementar ist es dabei, uns den Glaubenssatz bewusst zu machen, dass wir als Einzelperson nicht an der Situation Schuld sind und deshalb auch das eigene Recht haben, ohne Selbstvorwürfe einer Ablenkung nachzugehen.
Es ist selbst in diesen Zeiten keinesfalls verboten, sich zu freuen oder zu lachen. Mit einer Kasteiung helfen wir den Menschen in der Ukraine eben nicht“, so der ausgebildete Berater, der aber auch zur Gesundheitsfürsorge aufruft.
„Dystonie-Erkrankte sollten gerade jetzt die liegengebliebenen Untersuchungen und Therapien nachholen. Die saisonale Entwicklung hat die Corona-Lage entspannt, der Besuch von Arztpraxen oder Krankenhäusern ist wieder ohne größere Bedenken möglich“, so Riehle.
Und Ulrike Halsch ergänzt: „Wenn Sie eine Botulinuntoxin-Behandlung hinausgezögert haben oder eine Tiefe Hirnstimulation nicht angegangen sind, ermutigt die fallende Inzidenz bei den Covid-19-Infektionen, all das nun schnellstmöglich anzugehen.
Das sich Zurückziehen aus Bedenken vor einer möglichen Ansteckung hat bei manchen Menschen zu einer zementierten Angst und manches Mal gar zu depressiven Erscheinungen geführt.
Doch mit einem Nachgeben gegenüber der scheinbaren Übermacht des Virus und des Krieges schaden wir letztendlich unserer eigenen Psychohygiene.
Das kann nicht das Ziel von einer berechtigten und angemessenen Rücknahme von übermäßiger Ausgelassenheit und einem moralisch wie ethisch sicherlich notwendigen Respekt gegenüber Tod und Zerstörung sein“, erläutert Riehle.
Er ermutigt deshalb auch: „Suchen Sie sich Gesprächspartner, um Ihre Gedanken auszuformulieren und sich von der Seele zu reden. Oftmals sind wir in einer Schockstarre, die uns gehandicapt zurücklässt. Entscheidend ist jetzt, dass wir Herr über unser eigenes Leben bleiben und es nicht der Macht der Propaganda überlassen“.
Riehle meint abschließend ermutigend: „Überlassen wir unser Dasein nicht der Dramatisierung und Eskalationsszenarien, sondern besinnen wir uns wieder zurück auf unsere eigene Unversehrtheit. Prävention, Therapie und Behandlung von Krankheiten sind elementar wichtig. Sie dürfen bei allem Mitgefühl für die Ukraine und den ständigen Warnungen vor neuen Omikron-Varianten in jedem Fall den Mittelpunkt unseres Lebens einnehmen. Gesundheit bleibt das höchste Gut, dessen sollten wir uns bewusst bleiben“.
Der Verein Dystonie-und-Du e.V. bietet allen eine kostenlose Psychosoziale Mailberatung an. Er ist erreichbar unter: Dennis.Riehle@dysd.de.
Darüber hinaus beantwortet er alle Fragen zu Mitgliedschaft, Krankheitsbild und Hilfsmöglichkeiten auf der Webseite www.dystonie-und-du.de.
Zum Hintergrund: Die Dystonie-Erkrankung umschreibt eine Vielzahl von Störungsbildern, bei denen sich unwillkürliche Muskelkontraktionen in Krämpfen äußern und zu schmerzhaften wie nicht steuerbaren Zusammenziehungen und Streckungen von diversen Gelenken (vor allem der Handgelenke und von Fingergelenken), der Augenmuskulatur, der Stimme, der Gesichtsmuskeln, des Kauapparats oder der Halsmuskeln kommen kann.
Der Verein „Dystonie-und-Du e.V.“ ist der bundesweit tätige Selbsthilfeverband, der für Erkrankte und deren Angehörige offensteht, gleichermaßen aber auch für Fachpersonen Anlaufstelle ist und deshalb auch über einen wissenschaftlichen Beirat verfügt. Er wurde 2017 gegründet und vertritt seither die Interessen der Betroffenen der seltenen Erkrankung, die in Deutschland ca. 160.000 Personen heimsucht.
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