Akupunkturpunkte – gibt es sie wirklich?

Die Frage nach der Existenz der Akupunkturpunkte und nach deren anatomisch-physiologischen Grundlagen wurde auf verschiedenen Wegen untersucht:

1. Durch Wirkungsvergleich der Nadelung echter Punkte gegen Pseudoakupunktur an Nicht-Akupunkturpunkten.
2. Durch die Suche nach speziellen anatomischen Strukturen an Akupunkturpunkten.
3. Durch die Untersuchung der elektrophysiologischen Eigenschaften der Haut an Akupunkturpunkten.
4. Durch Untersuchung der Nerven, die durch Akupunktur aktiviert werden.

Akupunkturpunkte - gibt es sie wirklich?

Führt die Nadelung an den Akupunkturpunkten zu besseren Ergebnissen als an Nicht-Akupunkturpunkten?

Verschiedene Untersucher haben für den akuten, experimentell erzeugten Schmerz bei menschlichen Versuchspersonen gezeigt, dass die Nadelung an richtigen Akupunkturpunkten ausgeprägte Analgesie erzeugt, wogegen die Behandlung an Placebopunkten nur sehr schwache Wirkungen erbringt [16 e, 22, 179].

Die Ergebnisse waren eindeutig, da die Wirkung der Stimulation von Pseudopunkten bei experimentell induziertem akutem Schmerz praktisch nicht existent war (entsprechend haben Placebotabletten bei akuten Schmerzen wenig Wirkung, nur in 3% der Fälle verursachen sie eine Analgesie). Im Gegensatz zu diesen sehr klaren Ergebnissen fielen die Untersuchungen an Patienten mit chronischen Schmerzen weniger deutlich aus.

Placebo-Anästhesie hat bei chronischen Schmerzzuständen eine erhebliche Wirkung, sie funktioniert bei 30–35% der Patienten. Nadelbehandlung an Nicht-Akupunkturpunkten scheint sogar bei 33–50% der Patienten zu wirken, während echte Punkte bei 55–85% der Fälle wirksam sind [197].

Statistische Signifikanz der Differenzen zwischen Akupunktur und Pseudoakupunktur

Um die statistische Signifikanz dieser Differenzen zwischen Akupunktur und Pseudoakupunktur herauszuarbeiten, bedürfte es großer Patientenzahlen — mindestens 122 pro Studie — und solche Studien wurden noch nicht durchgeführt [197]. Es ist einigermaßen verwirrend, dass Pseudoakupunktur bei 33–35% der Patienten mit chronischen Schmerzen wirksam ist, während sie bei akutem, laborinduziertem Schmerz praktisch gar nicht wirkt.

Wegen dieser Probleme wurde die Spezifität der Akupunkturpunkte bisher nur in Studien bei Versuchspersonen mit akutem Schmerz nachgewiesen und muss für die chronischen Schmerzzustände erst noch schlüssig untersucht werden, da die Zahl der beteiligten Patienten hier noch nie die erforderlichen 122 erreichte.

Verum-Akupunktur bei Tieren

In Tierversuchen mit Mäusen [149], Katzen [19, 56], Pferden [35], Ratten [182, 188] und Kaninchen [55, 99] haben viele Untersucher gezeigt, dass Verum-Akupunktur bei akuten Schmerzzuständen besser wirkt als Placebonadelung. Diese Ergebnisse sind in Übereinstimmung mit der Forschung über den akuten Schmerz beim Menschen.

Wichtig ist es bei solchen Tierversuchen, milde Stimulation beim wachen Tier anzuwenden, um stressinduzierte Analgesie auszuschließen; starke Stimulation auch an Pseudopunkten kann Stressanalgesie hervorrufen [144]. Die Stressanalgesie ist ein wohldokumentiertes Phänomen [108] und ist endorphin-vermittelt. Wenn die angewendete Stimulation sehr stark ist, wird der Stress sowohl unter echter als auch unter Pseudoakupunktur sehr groß.

In Studien unter Narkose hingegen sind die Probleme aus psychogenem Stress reduziert [19, 55, 56, 137, 147, 148, 150, 152, 153, 188].

So zeigen viele Studien über akuten Schmerz bei Tieren und Menschen in aller Deutlichkeit, dass AA (Akupunkturanalgesie) unter Verwendung richtiger Akupunkturpunkte weitaus besser wirkt, als AA mit Pseudopunkten. Notwendig sind jedoch weitere Studien über chronische Schmerzen, um zu sehen, ob die echten Punkte auch hier wirksamer sind als beliebige Punkte.

Akupunkturpunkte – Gibt es spezifische anatomische Strukturen?

Obwohl verschiedene histologische Untersuchungen der Haut und der subkutanen Strukturen an Akupunkturpunkten durchgeführt worden sind, konnten keine spezifischen Strukturen gefunden werden. Jedoch haben verschiedene Autoren [62, 123] die scharfsinnige Beobachtung angestellt, daß die Mehrzahl der Akupunkturpunkte mit „Triggerpunkten“ zusammenfällt: Zum Beispiel stellten Melzack et al. fest, daß 71% der Akupunkturpunkte Triggerpunkten entsprechen [123].

Dies läßt vermuten, daß die Nadeln sensorische Nerven, die von Muskeln ausgehen, aktivieren. Dies wiederum stimmt überein mit Erkenntnissen, daß die Stimulation von Muskelafferenzen für die Erzeugung von Analgesie von Bedeutung ist [37, 104, 201]. Die Forschungsarbeit von Travell über Triggerpunkte, beginnend 1952 [190] und gipfelnd 1983 in einem umfangreichen Buch [191], zeigt, daß es in den myofascialen Strukturen kleine, hypersensitive Bezirke gibt, welche, wenn sie abgetastet oder gedrückt werden, eine größere schmerzhafte Fläche in einem anliegenden oder auch entfernten (korrespondierenden) Gebiet hervorrufen.

Sie fand heraus, daß „trockenes Stechen“ dieser Triggerpunkte mit Injektionsnadeln — also Stechen, ohne die Injektion eines Medikaments — Schmerzerleichterung hervorbrachte. Wenn Hautstellen druckempfindlich sind, nennen die Chinesen sie Ah-Shi-Punkte, und empfehlen deren Nadelung.

In einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit zur Anatomie der Akupunkturpunkte zählt Dung [47] zehn Strukturen auf, die in der Nachbarschaft von Akupunkten gefunden werden (wobei vor allem 5, 6, und 9 den Triggerpunkten zuzuordnen sind). Mit abnehmender Wichtigkeit nennt er:

1. Größere periphere Nerven. Je größer der Nerv, desto besser.
2. Nerven, die von einer tieferen Lokalisation entspringen und in ihrem Verlauf mehr an die Oberfläche treten.
3. Hautnerven, die von tiefen Faszien entspringen.
4. Nerven, die aus Knochenforamina hervortreten.
5. Motorpunkte an neuromuskulären Verbindungsstellen: dies sind die Punkte, an denen die Nerven in die Muskelmasse eintreten. Mit dem Ort der eigentlichen synaptischen Verbindung, der neuromuskulären Endplatte, sind sie nicht immer identisch, diese kann ein paar Zentimeter weiter im Muskel liegen, nachdem der Nerv sich in kleinere Äste verzweigt hat. Die pathophysiologische Bedeutung dieser neuromuskulären Verbindungsstellen ist nicht bekannt.
6. Blutgefäße in der Nachbarschaft von neuromuskulären Verbindungsstellen.
7. Nerven, die sich aus Fasern verschiedener Stärke zusammensetzen. Dies ist bei muskulären Nerven häufiger als bei Hautnerven der Fall.
8. Verzweigungspunkte peripherer Nerven.
9. Sehnen und Bänder, Gelenkkapseln, Faszienblätter, Collateralbänder, da diese Strukturen reich an Nervenendigungen sind.
10. Knochennähte des Schädels.

Aus dieser Liste wird klar, dass es keine spezifische Struktur gibt, die an Akupunkturpunkten dominierend zu finden wäre. Das wichtigste Korrelat ist wohl die Präsenz von Nerven, seien es größere Bündel (Punkt 1–8 der Liste) oder Nervenendigungen (Punkt 9 u. 10). Nach einer neueren Veröffentlichung von Heine sollen 80% der Akupunkturpunkte mit Perforationen in der oberflächlichen Faszie von Leichen korrelieren.

Durch diese Löcher treten kutane Gefäßnervenbündel zur Haut hindurch. Wenn diese Befunde sich reproduzieren lassen, könnten sie eine morphologische Basis für die Akupunkturpunkte liefern [75 a]. Die Unterbindung der AA-Wirkung durch Injektion von Lokalanästhetika in den Akupunkturpunkt vor Beginn der Stimulation [37, 151] ist ein starker Beleg dafür, dass Nerven für dieses Phänomen von Bedeutung sind.

Jedoch sollte man nicht vorschnell ausschließen, dass anderen Akupunkturwirkungen als der Anästhesie — zum Beispiel den immunologisch-antiallergischen Effekten der Akupunktur — ganz andere Mechanismen zugrundeliegen können. Man kann auf die mögliche Freisetzung von Arachidonsäure aus den bei der Nadelung verletzten Membranen spekulieren, die wiederum Leukotriene und Prostaglandine auf den Plan ruft, welche die Immunität beeinflussen.

Auch könnten chemoelektrische Einflüsse infolge der Gewebsverletzung wichtig für die Nervenregeneration sein. Blockieren Lokalanästhetika alle anderen Akupunkturwirkungen ebenso wie die AA? Dies sollte leicht zu beantworten sein, aber bislang wurden die nicht-analgetischen Akupunkturwirkungen noch verhältnismäßig wenig untersucht.

Autor: Prof. Bruce Pomeranz
University of Toronto
25, Harbord Street
Toronto, Canada

Aus: Stux, Stiller, Pomeranz (1999): Akupunktur – Lehrbuch und Atlas, Kapitel 2, 5. Auflage, Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York

Quelle:

Bildrechte: Pixabay.com ©acupuncturebox (CC0 Creative Common)

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